Kap. III.
§ 7.
Wenn ich auch den Plato oder Aristoteles nur einfach so übersetzte, wie unsre Dichter die Fabeln übersetzt haben, so würde ich mich um meine Mitbürger nicht wenig verdient machen, indem ich sie mit jenen göttlichen Männern bekannt machte. Ich habe es bis jetzt nicht gethan, glaube aber wohl, dass auch dies mir gestattet sein wird. Einzelne Stellen werde ich allerdings, wenn es mir passend scheint, übersetzen; insbesondere bei jenen genannten Männern, wenn es sich trifft, dass es passend geschehen kann. Auch Ennius hat dies mit dem Homer, Afranius mit dem Menander so gemacht. Ich werde aber nicht, wie unser Lucilius, gewisse Leser zurückweisen. Lebte doch nur jener Persius noch und vor Allem Scipio und Rutilius, deren Urtheil Lucilius scheute und der deshalb nur von den Tarentinern, Consentiern und Sicilianern gelesen sein wollte. Dies war ein zierlicher Ausspruch, wie wir deren auch anderwärts bei ihm finden; allein so gelehrt waren diese Leute, um deren Urtheil er sich bemühte, damals noch nicht, und seine Schriften gehören zu den leichtern, die zwar durch grosse Feinheit, aber weniger durch Gelehrsamkeit sich auszeichnen.
§ 8.
Welchen Leser sollte ich aber fürchten, da ich es wage, diese meine Schrift an Dich zu richten, der Du selbst den Griechen in der Philosophie nichts nachgiebst? Allerdings hast Du mir den Anlass durch Dein mir so werthes Buch über die Tugend gegeben, was ich von Dir erhalten habe. Vielleicht haben auch Manche einen Widerwillen gegen lateinische Schriften bekommen, weil sie auf gemeine und widerwärtige Sachen gerathen sind, die aus schlechtem Griechisch in noch schlechteres Latein übertragen worden sind; hier stimme ich ganz bei, sofern man nur auch griechische Schriften über dergleichen nicht lesen mag. Wer wollte dagegen nicht Schriften lesen, die über gute Gegenstände in gewählter Sprache ernst und schön abgefasst sind? Er müsste denn durchaus als Grieche gelten wollen, wie Albucius, der vom Prätor Scävola zu Athen so begrüsst wurde.
§ 9.
Lucilius hat auch dies sehr schön und durchaus witzig dargestellt, indem er den Scävola vortrefflich sagen lässt: »Lieber ein Grieche willst Du, Albucius, heissen und nicht ein Römer oder Sabiner, oder ein Fahnenträger und Landsmann der Centurionen Pontius und Tritanus, jener wackern und ausgezeichneten Männer? Also begrüsse ich, der Prätor, Dich in Athen bei Deinem Nahen mit griechischen Worten, wie Du es wünschst. chaire! mein Titus! sage ich, und ihr, die Lictoren, die Cohorten und die Menge rufet: chaire Titus! - Seitdem hasst mich Albucius und ist mir feindlich gesinnt.«
§ 10.
Aber Scävola hat Recht; ich kann nicht begreifen, woher diese übermüthige Verachtung des Vaterländischen kommt? Allerdings ist hier nicht der Ort, dies weitläufig auszuführen, aber ich meine und habe es oft dargelegt, dass die lateinische Sprache keineswegs so arm ist, wie man immer sagt, sondern dass sie sogar reicher als die Griechische ist. Denn wann hat wohl je mir oder vielmehr den guten Rednern und Dichtern, wenigstens seit der Zeit, wo gute Muster zur Nachahmung vorhanden waren, irgend ein Schmuck der Rede zu deren Fülle und Zierlichkeit gefehlt?
Kap. IV.
Wenn ich nun in den gerichtlichen Verhandlungen, Mühen und Gefahren den Posten, auf den das römische Volk mich gestellt hatte, nicht glaube verlassen zu haben, so liegt mir fürwahr auch ob, nach Möglichkeit dahin zu wirken, dass meine Mitbürger durch meine Thätigkeit, Fleiss und Anstrengungen kenntnissreicher werden, und ich mag mich nicht mit Denen herumstreiten, welche griechische Bücher vorziehen - sofern sie sie nur wirklich lesen und es nicht blos vorgeben - vielmehr lieber Denen beistehen, welche die Schriften aus beiden Sprachen benutzen wollen, oder die, wenn sie die Schriften in ihrer eigenen Sprache besitzen, die in der andern nicht sehr vermissen.
§ 11.
Wenn man aber meint, ich sollte lieber über Anderes schreiben, so möge man billig bedenken, dass dies bereits vielfach geschehen ist, und zwar in grösserem Maasse, als von irgend einem der Unsrigen, und dass, wenn ich am Leben bleibe, noch Mehreres nachfolgen wird. Auch wird jeder aufmerksame Leser meiner philosophischen Schriften finden, dass sie mehr als andere des Lesens werth sind. Denn was verdient wohl im Leben grössere Anstrengung als die Philosophie im Allgemeinen und insbesondere die in dieser Schrift enthaltenen Untersuchungen über die höchsten und letzten Ziele, auf die alle Entschlüsse über glückliches Leben und rechtes Handeln zu beziehen sind, so wie über das Höchste, was die Natur unter dem Begehrenswerthen verfolgt und unter dem Ueblen flieht? Ueber diese Fragen herrscht unter den einsichtigsten Männern grosse Uneinigkeit; weshalb sollte es deshalb meiner, von Allen anerkannten Würde zuwider sein, wenn ich untersuche, was bei allen Aufgaben des Lebens das Beste und Richtigste ist?
§ 12.
Ob das Kind einer Sklavin zur Nutzniessung gehöre, mag unter jenen angesehenen Staatsmännern, wie P. Scävola und Manius Manilius verhandelt werden, und M. Brutus mag hierbei anderer Ansicht sein; dergleichen sind scharfsinnige Untersuchungen, und sie haben ihren Nutzen für den bürgerlichen Verkehr; auch lese ich solche und ähnliche Schriften gern und werde sie auch ferner lesen; aber sollen deshalb die Fragen vernachlässigt werden, welche das ganze Leben befassen? Jene Schriften mögen beliebter sein, aber fruchtbringender sind sicherlich diese, wenn ich auch dem Urtheil der Leser hierin nicht vorgreifen mag. Ich glaube wenigstens in dieser Schrift die Frage über das höchste Gut und Uebel vollständig behandelt zu haben, und ich habe nach Möglichkeit darin nicht blos meine eigenen Ansichten, sondern auch die Lehren der verschiedenen philosophischen Schulen dargelegt.
Kap. V.
§ 13.
Um mit dem Leichtesten zu beginnen, trage ich zunächst die Lehre des Epikur vor, die am bekanntesten ist. Du wirst finden, dass ich sie so sorgfältig dargestellt habe, wie es nur die Anhänger dieser Lehre selbst vermögen; denn ich trachte nach der Wahrheit und nicht blos nach der Widerlegung meiner Gegner. Sehr sorgfältig wurden einmal früher des Epikur's Ansichten über die Lust von L. Torquatus, einem in allen Wissenschaften erfahrenen Manne, vertheidigt. Ich selbst trat ihm damals entgegen, und C. Triarius, ein ernster und kenntnissreicher junger Mann, war bei der Erörterung zugegen.
§ 14.
Beide hatten mich nämlich auf meinem Gute bei Cumä besucht. Zunächst wurde Einiges über die Wissenschaften, die von Beiden mit dem höchsten Eifer betrieben wurden, verhandelt; dann sagte Torquatus zu mir: Da wir Dich einmal frei von Geschäften angetroffen haben, so möchte ich gern wissen, was Du an unserm Epikur, wenn auch nicht hassest, wie es von seinen Gegnern geschieht, aber doch missbilligst. Ich meine, dass nur er allein die Wahrheit erfasst, die Gemüther der Menschen von den grössten Irrthümern befreit und Alles gelehrt hat, was zu einem guten und glücklichen Leben gehört. Ich vermuthe, dass er Dir und unserm Triarius nur deshalb missfällt, weil er jenen Schmuck der Rede vernachlässigt hat, der sich bei Plato, Aristoteles und Theophrast findet; wenigstens kann ich kaum glauben, dass seine Lehre selbst Dir nicht für die wahre gelten sollte.
§ 15.
Da sieh, wie Du Dich irrst, Torquatus, erwiderte ich; sein Styl verletzt mich nicht, denn er drückt vollständig aus, was er sagen will und in verständlicher Weise. Wenn ich nun einen Philosophen, der die Beredsamkeit benutzt, nicht verachte, so tadle ich es doch auch nicht, wenn ein Anderer dies nicht thut. Aber Epikur befriedigt mich in der Sache selbst, und zwar bei vielen Punkten nicht. Indess kann ich mich täuschen, denn: So viele Köpfe, so viele Sinne, sagt das Sprüchwort. - Weshalb genügt er Dir denn nicht? erwiderte Torquatus; denn ich halte Dich für einen billigen Richter, sofern Du nur seine Ansichten genau kennst.
§ 16.
Wenn nicht Phädrus und Zeno, antwortete ich, die ich Beide gehört habe, mich belegen haben, so dürfte ich wohl mit der ganzen Lehre Epikur's vertraut sein. Ich habe Beide mit unserm Freund Atticus fleissig gehört. Ihren emsigen Fleiss abgerechnet, hatten sie nicht meinen Beifall, aber Atticus bewunderte Beide und liebte den Phädrus; deshalb besprachen wir täglich das, was wir bei ihnen gehört hatten, und wenn ein Streit entstand, war es nicht, weil ich ihre Lehre nicht verstanden hätte, sondern weil ich sie nicht billigte.